Prof. Andreas Wenger

1. Erzähl uns bitte kurz etwas über dich: Wer bist du und was machst du beruflich genau?

Ich bin an der ETH Zürich vor vielen Jahren zum «Neubauarchitekt» ausgebildet worden. Mit Beginn meiner Praxis als zuerst Angestellter und später als freischaffender Architekt hatte ich fast ausschließlich mit Umwidmungen, Umbauten und Sanierungen zu tun, vom Spitalbau bis zu Anbauten an Einfamilienhäuser. Ich musste feststellen, dass ich dafür durch mein Studium überhaupt nicht vorbereitet war. Umso mehr freute ich mich nach einigen Jahren Tätigkeit in der Sanierung von Bauten über die Anfrage, den Studiengang Innenarchitektur und Szenografie neu konzipieren. Mir ein Studium auszudenken, das all das beinhaltet, das ich selbst in meinem Studium nicht mitbekommen hatte, fand ich überaus reizvoll. Inzwischen bin ich etwas mehr als zwanzig Jahre in der Leitung des Studiengangs Innenarchitektur und Szenografie in Basel tätig und wir entwickeln uns ständig weiter.

2. Wie bist du zur Innenarchitektur und Szenografie gekommen und was fasziniert dich daran?

Wie gerade geschildert, ist die Arbeit in der Innenarchitektur und Szenografie – viel mehr als vielleicht die Architektur – stärker auf konkrete Bedürfnisse von Nutzenden von gebauten Innenräumen und auf Inhalte, die in Ausstellungen erzählt werden wollen, ausgerichtet. Ich finde es überaus faszinierend und bereichernd, mich immer wieder neu in Aufgaben und Kontexte eindenken zu dürfen, mit denen ich mich zuvor noch nie auseinandergesetzt habe.

3. Welche Erfahrungen und Entscheidungen haben dich in deiner Laufbahn besonders geprägt? Und was waren dabei deine wichtigsten Learnings?

Die Überraschungen: Wenn ich ein Gebäude sanieren, oder umbauen darf, mache ich mir natürlich einen Plan und entwickle zusammen mit den Beteiligten möglichst genaue Vorstellungen, wie dieses belebt und benutzt werden kann. Oft habe ich allerdings erlebt, dass sobald die Arbeiten am Bau beginnen, diese Vorstellungen nicht so umsetzbar sind wie geplant, weil das Gebäude «mitspricht»: Es hat selbst Bedürfnisse und Rahmenbedingungen, die berücksichtigt werden wollen. Da ergeben sich oft Überraschungen, die Spontanität und Improvisationstalent benötigen. Und das mag ich sehr, obschon ich in tiefstem Herzen immer noch Planer bin.

4. Gibt es ein Projekt – entweder mit Studierenden oder aus deiner eigenen Praxis – worauf du besonders stolz bist? Was macht es für dich so einzigartig?

Da gibt es natürlich einige: Ich glaube, es hat in der Gestaltung fast immer damit zu tun, ein Risiko einzugehen, bei dem nicht absehbar ist, wie es sich in der Realität einlösen wird. Beispielsweise war es unseren Studierenden in einer Kooperation mit der Hochschule für Musik ein Anliegen, die Grenze zwischen Publikum und performenden Musiker:innen zu verwischen. Dazu haben wir die Besuchenden und die Musiker:innen mit den gleichen Kostümen ausgestattet. Niemand von uns wusste, ob die Besuchenden sich auf das Experiment einlassen würden und sich selbst als Akteur:innen im Geschehen verstehen würden. Es hat jedoch überaus gut funktioniert und die Bilder und Eindrücke der Aufführungen haben sich sehr in unser Gedächtnis eingeschrieben, als Mit-Performende oder als eingekleidete Besuchende. Dass wir das Risiko eingegangen sind, obschon wir nicht wissen konnten, ob es aufgehen würde, hat sich sehr gelohnt.

5. Was sind häufige Stolpersteine, denen deine Studierenden begegnen? Und wie kann man sie möglichst vermeiden oder meistern?

Nun, das Studium ist dazu da, dass Studierende stolpern dürfen! Das ist ja ein Setting – im Gegensatz zur späteren Berufspraxis – in dem es wie bei Artist:innen im Zirkus ein Auffang-Netz gibt, damit man sich nicht verletzt. Und dieses Sicherheitsnetz bilden im Studium die Gespräche und die Unterstützungen mit und von Dozierenden. Wenn ich dennoch einen Stolperstein nennen muss, ist es vielleicht der, dass die Recherche des Umfelds einer Aufgabe manchmal zu kurz kommt und die Rahmenbedingungen für ein Projekt von manchen Studierenden zu ungenau bedacht und ausgelotet werden. Dann ist es möglich, dass Absichten scheitern oder sich Vorstellungen und Ziele nicht erfüllen lassen. Das könnte man dann «Stolpersteine» nennen und oftmals lassen sie sich leider nicht vermeiden; aus diesen können Studierende schließlich viel lernen und mitnehmen.

6. Welche Fertigkeiten und Kompetenzen sind für angehende Innenarchitekten besonders wichtig? Hast du Tipps, wie man am besten daran arbeiten kann?

Das mag etwas abgehoben wirken für ein Bachelor-Studium, ich nenne sie dennoch: Es geht darum sich eine eigene Position in der «Welt», in der Berufswelt, zu erarbeiten, die da heißen könnte: Wie und mit was möchte ich mich auseinandersetzen und für wen will ich mich engagieren. Welche Themen und Anliegen sind mir wichtig und wie vertrete ich sie, auch wenn das Budget knapp ist und die «faulen Kompromisse» lauern. Das sind Kompetenzen, die Studierende aus ihrem Studium in die spätere Praxis mitnehmen können.

7. Welchen Rat würdest du einem jungen Menschen geben, der sich für Innenarchitektur interessiert, aber noch unsicher ist, ob das die richtige Richtung ist?

Ich würde mir überlegen, ob es für mich stimmig ist, mit jeder Aufgabe und mit jedem Projekt Neues zu erfahren und neue Lösungen suchen zu dürfen. Das ist zwar anstrengend und spannend, aber auch sehr befriedigend. Das heißt aber auch, sich selbst Ziele setzen zu können. Wer sich eher wohl fühlt dabei, ähnliche Dinge mit den immer gleichen Methoden richtig zu tun, wird sich in einem Studium der Innenarchitektur und Szenografie nicht wohl fühlen. Es gibt in der Innenarchitektur und der Szenografie keine Anleitungen, die einem sagen, wie eine Aufgabe richtig zu lösen ist. Das muss man selbst immer wieder neu herausfinden, die Methoden für jedes Projekt selbst anpassen, oder wenn notwendig selbst erfinden.

8. Mit der Zeit hat sich das Feld der Innenarchitektur sehr verändert, z. B. durch Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wo siehst du besonders spannende Chancen für die nächsten Jahre?

Digitalisierung betrifft uns im Bereich der Visualisierung, der 3-D Modellierung und in vielen Tools, die dafür eingesetzt werden können, die Vorstellungen von Räumen anschaulich zu vermitteln. Damit setzen wir uns im Studium intensiv auseinander. Im Gegensatz zur Architektur gehe ich davon aus, dass BIM (Building Information Modeling) uns in der Innenarchitektur und Szenografie nicht so stark betreffen wird. Diese Systeme sind bisher ausschließlich für Neubauten konzipiert. Nachhaltige Praxen hingegen betreffen und praktizieren wir in vielerlei Hinsicht, sozial, ökonomisch und materiell. Wir versuchen Nachhaltigkeit inklusiv zu denken und mehr als menschliche Lebewesen mit in unsere Überlegungen mit einzubeziehen. Aber auch hier: Es gibt keine Rezepte für richtiges oder falsches Handeln, es geht um die Einübung neuer Denkformen für nachhaltige Gestaltungs-Prozesse.

9. Was möchtest du Schülern und Studierenden mitgeben, die eine Laufbahn im Bereich Innenarchitektur oder Szenografie anstreben?

Risiko eingehen! Projekte immer wieder anders anzugehen, sie anders zu denken und sie neu zu gestalten.