Tobias Dahmen

1. Erzähl uns bitte kurz etwas über dich: Wer bist du, und was machst du beruflich?

Ich bin Tobi Dahmen, Illustrator und Comiczeichner. Ich habe Visuelle Kommunikation in Düsseldorf studiert und arbeite seitdem für die unterschiedlichsten Auftraggeber: Unternehmen, Presse, Verlage und gemeinnützige Organisationen. Seit 2008 lebe ich in den Niederlanden.

2. Was hat dich dazu inspiriert, Illustrator und Comic-Künstler zu werden? Und für welchen Weg hast du dich entschieden, um dahin zu kommen, wo du heute bist?

Ich habe eigentlich schon immer gerne Comics gelesen, seit ich denken kann. Es war dann nur logisch, irgendwann auch selber welche zeichnen zu wollen. Comics brauchen LeserInnen oder Publikum, das erste war die Schulklasse in Wesel. Vor und während meines Studiums in Düsseldorf habe ich dann die Underground-Comics entdeckt. Vor allem Art Spiegelmans ‚Maus‘, aber auch die neu aufkommenden autobiographischen Comics aus Deutschland haben großen Eindruck bei mir hinterlassen. Nach dem Studium habe ich dann zusammen mit anderen ZeichnerInnen ein kleines Fanzine gegründet, die ‚Herrensahne‘, mit dem wir auch viel auf Festivals unterwegs waren und ein paar eindrucksvolle Ausstellungen gestaltet haben. Später wollte ich dann eine längere Geschichte erzählen, das wurde die Graphic Novel ‚Fahrradmod‘ über meine Jugend in der Kleinstadt Wesel unter dem Eindruck der britischen Subkulturen wie den Mods. Die Geschichte erschien zunächst als Webcomic im Netz und schließlich als dickes Buch 2015 beim Carlsen Verlag.

Neben einigen anderen Büchern erschien 2024 dann meine zweite dicke Graphic Novel ‚Columbusstraße – eine Familiengeschichte 1935-1945‘ über die Kriegsjahre in Deutschland, und wie meine Familie diese Zeit erlebt hat. Im März erscheint dann das nächste Buch „Stell Dir Vor! – Comics über die Nachkriegszeit“ zusammen mit anderen ZeichnerInnen und dem Haus der Geschichte NRW beim Avant Verlag.

3. Auf deiner Facebook-Seite hast du gepostet:

Du scheinst es als angehender Comic Artist nicht immer einfach gehabt zu haben. Wie bist du mit Situationen wie dieser umgegangen und was hat dich motiviert, dranzubleiben?

Das Zitat eines meiner Professoren hatte ich seinerzeit noch gut im Ohr, es gibt in etwa wieder, wie damals noch über Comics gedacht wurde: keine Kunst, leichte Unterhaltung, Hauptsache lustig, nicht viel wert, unakademisch. „Den Quatsch kannste also lieber zuhause machen, nicht hier bei uns an der Schule.“

Das hatte ich von Kanada aus gepostet, nachdem mich ein internationales Projekt eingeladen hat, um an einem Workshop dort teilzunehmen. Im Rahmen des Projektes ‚Survivor Based Visual Narratives‘ werden Überlebende von Genoziden mit ZeichnerInnen zusammengebracht, um daraus gemeinsam eine Graphic Novel zu entwickeln und für die Nachwelt aufzubewahren. Die Erkenntnisse aus dieser Zusammenarbeit werden gerade von HistorikerInnen aus der ganzen Welt sehr interessiert aufgenommen und diskutiert. Also widerlegt das wohl die meisten Thesen von damals. Und dass man für seine Leidenschaft ganz schön rumkommt (Kanada!) zeigt wohl auch, dass man das nicht nur zuhause erledigen muss. Insofern hat wohl Geduld geholfen, die man eh fürs Comiczeichner braucht. Und wenn man wirklich an etwas glaubt, dann klappt es damit schon irgendwann. Wobei meine Erwartungshaltung nie so groß war, wie das, was gerade passiert.

4. Welche Schlüsselmomente oder Erfahrungen haben deine Laufbahn besonders geprägt? Was waren dabei deine wichtigsten Learnings?

Ich glaube, am wichtigsten war der Austausch mit anderen. Ich sage immer, der wichtigste Hörsaal war die Mensa. Zu sehen, was die anderen so machen, über die Skizzenbücher kann man den Leuten ja immer ein bisschen in den Kopf schauen. Im Zuge dessen habe ich auch gerne mit anderen zusammengearbeitet. Was bei den Projekten der Herrensahne so rausgekommen ist, die unterschiedlichsten Hefte, und die verrückten Ausstellungen, das hätte ich niemals alleine geschafft, geschweige denn mir ausdenken können. Und trotzdem hat man seinen Teil dazu beigetragen. Das macht großen Spaß, vor allem wenn man dann noch eine amtliche Eröffnungsparty feiern kann. Gleichzeitig erlebe ich aber auch nach manchen Gruppenprojekten, wie schön die Arbeit an einem großen Projekt sein kann, an dem man ausschließlich alleine arbeitet, und bei denen einem keiner reinredet. Ich glaube, ich brauche beides.

5. Gibt es Projekte oder Werke, auf die du besonders stolz bist? Was macht sie für dich so bedeutend?

Das sind wohl meine beiden Graphic Novels. Sich darüber bewusst zu werden, jahrelang an so einem Buch zu arbeiten und es dann wirklich in Händen zu halten. Und noch besser ist es, wenn diese Geschichte, die komplett aus einem selbst entstanden ist, bei so vielen Leuten reflektiert und geschätzt wird. Das bedeutet mir schon sehr, sehr viel. Aber noch toller fühlt es sich an, wenn Frau und Tochter zugeben, dass sie Fans sind 🙂

6. Welchen Bildungsweg würdest du heute wählen, um dich als Comic Artist entfalten zu können und gleichzeitig möglichst gute Karrierechancen zu haben? Und warum?

Ich glaube, das Studium der Visuellen Kommunikation ist nach wie vor eine richtige Entscheidung, auch um noch andere Disziplinen zu studieren als das Zeichnen, die unterschiedlichen Herangehensweisen und Disziplinen können einander ja durchaus befruchten. Aber ich würde mich im Vorfeld darüber informieren, welcher Schwerpunkt an der jeweiligen Schule gelehrt wird. An meiner Schule waren die Comics damals nicht so gern gesehen. Das hat sich inzwischen bestimmt geändert, aber Hamburg und Kassel sind beispielsweise inzwischen sehr bekannt für ihre Lehre. Andererseits gab es für mich dadurch nicht so viel Konkurrenz in Düsseldorf, und so hab ich meine ersten Jobs aus erweiterten Studentenkreisen bekommen. Aber das ist auch schon lange her, da steckte auch das Internet noch in den Anfängen.

Was eine Karriere in den Comics betrifft, kann ich nur leider die schlechte Mitteilung liefern, dass nur die wenigsten ausschließlich davon leben können. Es braucht also ein zweites Standbein, bei mir ist das die Illustration. Bei mir funktioniert das so, dass beide Tätigkeiten voneinander profitieren, so eine Lösung, die es natürlich auch in anderen Disziplinen und Kombinationen gibt, kann ich sehr empfehlen.

7. Wohin geht die Comic-Kunst in Zukunft? Siehst du Veränderungen oder Entwicklungen in der Branche, die man insbesondere als Berufseinsteiger nicht ignorieren sollte?

Nun, der große Elefant im Zimmer ist natürlich die KI, und wir hoffen wohl alle, dass das Vieh nicht alles mit dem Hintern einreisst, was man sich so lange aufgebaut hat. Es bleibt abzuwarten. Ich hoffe, dass die millionenfache Urheberrechtsverletzungen, die damit einhergehen, geklärt und vergütet werden und die KI irgendwann tatsächlich als das Tool genutzt werden kann, als das es angekündigt wird. Und mir die Steuer macht und vielleicht manchmal beim Kolorieren hilft. Aber wenn ich gerade sehe, was da in den USA passiert, habe ich daran ein wenig Zweifel.

Gleichzeitig glaube ich, dass die interessantesten Geschichten und die sensibelste Kunst weiterhin von Menschen gemacht wird. Es ist gerade viel im Umbruch, wie können die sozialen Medien noch Aufmerksamkeit für unser Schaffen generieren, wenn dahinter Leute stehen, denen es nur um Profit und Macht geht und deshalb viele User dieser Interaktion den Rücken kehren. Es ist wohl sehr wichtig, das Spielfeld genau zu beobachten und daraus seine Schlüsse zu ziehen. Das klingt alles sehr vage, aber ich habe auch das Gefühl, dass gerade so viel in Bewegung ist, und wir die Ergebnisse noch schlecht absehen können.

Am Ende bleibt, dass man sich am besten mit dem beschäftigen sollte, was einen selbst erfüllt. Über all die Zeit, die man investiert, wird automatisch eine Fertigkeit entstehen, an der sicher auch andere ihre Freude haben werden. Keep the faith, wie die Mods sagen.

8. Sicher hast auch du auf deinem Weg Fehler gemacht oder Entscheidungen getroffen, die rückblickend nicht die Besten waren. Welche waren das und wie wärst du heute damit umgegangen?

Von den Comics alleine kann man ja leider in Deutschland meist nicht leben, das gilt auch für mich. Ich mache nebenher natürlich Auftragsarbeiten, und das aber auch sehr gerne. Die unterschiedlichen Aufgaben machen mir großen Spaß, die Abwechslung brauche ich auch. Natürlich ist es am Anfang meiner Karriere immer mal wieder passiert, das einen jemand über den Tisch ziehen will, oder dass man aus Unwissenheit zu schlecht verhandelt. Das würde ich heute nicht mehr machen. Ich kann deshalb nur empfehlen, sich der Illustratoren-Organisation anzuschließen. Die helfen in die Professionalität und über den Austausch lernen auch alte Hasen noch immer eine Menge. Gleichzeitig hat man so auch in der Gemeinschaft einen politischen Hebel, den man als EinzelkämpferIn nicht hätte.

9. Welchen Rat möchtest du angehenden Illustratoren und Comic Artists mitgeben?

Ich hab es schon mehrfach fallen lassen: sucht den Austausch. Unsere Szene ist so klein und sehr freundlich, da findet sich schnell jemand, der einem helfen kann. Es ist auch wichtig, nicht nur im eigenen Brei zu kochen, sondern auch mal über die Arbeiten von anderen neue Sichtweisen zu erlernen. Außerdem natürlich viele Comics lesen und immer die Augen offen halten. Und wenn dir keine Geschichten einfallen, zeichne die auf, die du deinen FreundInnen erzählst. Das sind die besten, hat Cabu von Charlie Hebdo mal gesagt. Und immer daran denken, die meiste Zeit verbringt man selbst mit der eigenen Kunst. Wenn man diese Zeit genießt, dann hat man sich schon sehr sinnvoll beschäftigt. Geld ist nicht alles.